
Boissard,
Jean-Jacques, Bibliotheca chalcographica.. 1652-1669
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Johannes Dryander
Johannes Eichmann,
genannt Dryander, am 27. Juni 1500 in
Wetter in der Nähe von
Marburg geboren, hatte 1518 mit dem Studium der "artes" an der
Universität Erfurt begonnen, in Bourges und (vermutlich)
Paris Medizin und Mathematik studiert und 1533 in Mainz die medizinische
Doktorwürde erlangt. Im selben Jahr noch wandte sich der
Kanzler des Landgrafen Philipp von Hessen, Johannes Feige (1482
-1543), an ihn, um ihn nach dem Fortgang des ersten ordentlichen
Professors der Medizin an der neu gegründeten
Universität Marburg, Euricius Cordus (1486-1535), dessen
Famulus Dryander in Erfurt gewesen war,
für die vakant gewordene Stelle in Marburg zu gewinnen. Die
Verhandlungen scheinen sich jedoch zunächst zerschlagen zu
haben. Der Leibarzt des Landgrafen Philipp, Johannes Meckbach
(1495-1555), wurde Dryander vorgezogen, so daß dieser vorerst
in Koblenz blieb, wo er
noch im selben Jahr, am 24. Dezember, seine Schrift über das
Emser Bad abschloß. Erst nach der Entlassung Meckbachs wurde
Dryander nach Marburg als Professor der Medizin und Mathematik berufen,
wo er bereits vor seinem Antritt am 1. 6. 1535 eine
öffentliche Sektion abgehalten hatte, der 1536 die zweite,
1539 die dritte und 1558 die vierte folgten. Dem Vorwort des Rektors
der Universität Marburg zu Dryanders Anatomielehrbuch aus dem
Jahre 1536 ist zu entnehmen, daß nach einer Bestimmung des
Landgrafen Philipp jährlich ein bis zweimal am Leichnam von
Verbrechern Anatomie gelehrt werden sollte. Auf diese Aufforderung
gehen Dryanders Sektionen vom 1. Juni 1535 und 1. März 1536
zurück, sie gehören zu den
frühesten Zergliederungen überhaupt, die in Deutschland bekannt
geworden sind.
Dryander
betrachtete die Anatomie als Fundament der Medizin. Seine
Antrittsvorlesung, die am 25. Oktober 1535 stattfand und den Auftakt
sowie das Programm seiner Lehrtätigkeit bot, verteidigte er
mit Nachdruck das Studium der Anatomie als unentbehrliche Voraussetzung
für die medizinische Praxis. Marburg, die erste
protestantische Hochschule, 1527 gegründet, das Jahr, dem
Paracelsus eine neue Heilkunde proklamierte und die Bücher der
scholastischen Autoren öffentlich verbrannte, mußte
ihm als ein günstiger Ort zur Verwirklichung seiner
Reformideen erscheinen. So setzte sich Dryander schon zuBeginn der
Marburger Amtszeit energisch und nicht ohne Erfolg für die
Verbesserung des medizinischen Unterrichts ein.
Er forderte eine
Vorbildung in der "physica", der allgemeinen
Naturgeschichte, die mit einem
öffentlichen Examen nachzuweisen war und verlangte die
praktische Ausbildung der angehenden Medici, welche die Professoren auf
ihren Patientenbesuchen begleiten sollten. Die Praxis sollte generell
vor den "lectionibus" den Vorrang haben, nicht trockenes
Bücherwissen, die philologische Zergliederung klassischer
Texte sollte den Studenten der Medizin leiten, sondern die eigene
Einsicht in die "beste Bibliothek,
die Natur". Dryander befaßte sich nicht nur mit der Reform
des Medizinstudiums, sondern auch mit Verbesserungen des
Medizinalwesens. Auf seine Veranlassung hin wurde 1539
die
Leprosenschau eingeführt. Er forderte nicht nur die
jährliche Visitation der amtlichen Apotheken, sondern zugleich
auch die Abschaffung der Winkelapotheken und die Beseitigung des
Kurpfuscherunwesens. In der Bekämpfung
der medizinischen Scharlatanerie erwies sich Dryander als ebenso
unermüdlicher Richter wie gewaltiger Wortschöpfer.
Keine Gelegenheit versäumte er, in derben und drastischen
Ausdrücken ,,die unerfahrenen Kaelberaerzte, Landstreicher und
Leudbescheißer" zu beschimpfen, die ihre "künstlin /
hinderm ofen gelernt.. . zu allen gebrechen / ein Artztnei / ein Tranck
/ ein Salb / ein Pflaster oder so ein ungereumpts / daß
mancher das leben darob verzettet." . Neben seiner Lehr- und
Forschungsarbeit praktizierte Dryander außerdem in den beiden, unter seiner
Leitung aus den Klöstern Haina und Merxhausen umgewandelten
Landeshospitälern. Unter den Kollegen genoß er hohes
Ansehen, so daß er mehrfach zum Rektor gewählt
wurde. Dryander lehrte bis zu seinem Tode in Marburg, wo er am 20.
12. 1560 starb.
Auf
literarischem Gebiet entfaltete Dryander eine ebenso große
Aktivität und Vielseitigkeit wie auf praktischem Gebiet. Er
beschäftigte sich in seinen zahlreichen
Publikationen, Editionen
und Lehrschriften nicht nur mit medizinischen
Themen, sondern gleicher Weise mit mathematisch-astronomischen,
physikalischen, geographischen, kosmographischen und technischen
Problemen sowie Fragen des Instrumentenbaus. Obwohl sich Dryander den
meisten Schriften
als ein realistischer Beobachter zeigte, ließ
er sich,
überzeugt von der inneren Harmonie der himmlischen Planeten-
und Gestirnsbewegungen mit den Zustandsänderungen der Organe
und Körperteile des Menschen, gelegentlich auch zu
spekulativen Betrachtungen, etwa der Chiromantie oder astrologischen
Medizin, hinreißen.
Seine
wichtigsten Beiträge liegen auf dem Gebiet der Anatomie.
Dryander war einer der ersten Anatomen, der seine Lehrbücher
mit Illustrationen versah, die in systematischer Anordnung
den Sektionsverlauf nachzubilden versuchten. Die Holzschnitte hat, wie
heute angenommen wird, Georg Thomas von Basel, der in Marburg 1534-1578
nachweisbar ist, verfertigt. Einige Abbildungen entsprechen in ihrer Konzeption ganz
den Tafeln des epochemachenden, die Anatomie revolutionierenden Werkes
von Andreas Vesal (1514-1564). Möglicherweise haben sie sogar
die anatomischen Abbildungen in
Vesals Lehrbuch
beeinflußt, die nach Herrlingers Auffassung "durchaus als
Verbesserungen der entsprechenden Holzschnitte Dryanders angesehen
werden können". Daß sich hingegen Dryander und sein
Verleger
Egenolph
ihrerseits einiger Tafeln der "Tabulae anatomicae
sex" (Venedig 1538) des Vesal als Vorlage für die ,Anatomia
mundini"(Marburg
1541) bedienten, ist eindeutig nachgewiesen. Vesal
selbst ist das Plagiat nicht entgangen, und er hat an dem Vorgehen
Dryanders heftige Kritik geübt. Dryander deswegen global als"Plagiator
großen Stils" zu bezeichnen, dürfte nicht
gerechtfertigt sein, worauf schon Müller-Jahncke zu recht
hingewiesen hat. Nicht nur Dryanders Abhandlung über das Emser
Bad, eine der frühesten Badeschriften überhaupt, die
zudem den ersten Versuch einer Quellenanalyse enthält, stellt
eine durchaus selbständige Leistung dar, sondern auch die
Bemühungen um die Reform dermedizinischen Ausbildung und
Verbesserung der Anatomie sind
für seine Zeit wegweisend und
bedeutsam gewesen."
Aus: Irmgard Müller,
Einführung (35 p.) zu/Johann
Dryander/ Vom Eymsser Bade..., Marburg, 1981, pp. 22-25
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