Hermann
V., berühmter Jurist und Philologe Marburgs, geboren zu Wetter in
Hessen am 16. December 1565, † in Marburg am 28. April 1634. Sein Vater Justus V.,
Pädagogiarch und Professor der hebräischen Sprache zu Marburg (s. u. S.
391), sorgte treu für seine Ausbildung und schickte ihn 1571 auf die
Universität Heidelberg, wo er die berühmten Theologen Ursinus und Zanchius, den Mathematiker Pithopaeus, den Philosophen Launojus und den Professor der griechischen Litteratur Xylander
mit großem Nutzen hörte. In Genf waren die Juristen Pacius und Franz
Hottomannus seine Hauptlehrer. Das Verlangen, Italien zu sehen und
kennen zu lernen, veranlaßte ihn, einige Zeit in Padua zu studiren.
Hierauf unternahm er eine Reise nach Frankreich. Auf dem Rückwege wurde
er (im Jahre 1579) mit einem Baron v. Ensenniz in Steiermark bekannt,
der ihn bestimmte, die Information seiner Kinder zu übernehmen. Im Hause
dieses Herrn lernte V. die Vornehmen des Landes kennen und fühlte sich
allmählich so heimisch, daß er bereits den Gedanken erwägte, für immer
in Steiermark zu bleiben. Am 2. Februar 1580 erwarb er sich in Basel den
juristischen Doctorhut, worauf er eine Reise in die Heimath unternahm,
um seine Mutter und seine Freunde nochmals zu sehen. Aber er sollte
seinem Heimathlande nicht verloren gehen. Kaum war seine Anwesenheit in
Marburg ruchbar, so trug man ihm die eben erledigte Professur der
griechischen Sprache an. Im September des genannten Jahres trat er in
diese Stelle ein, die er jedoch nur einige Monate bekleidete. Denn als
im folgenden Jahre der Professor der Rechtswissenschaft Bernhard Copius
an der Pest gestorben war, so wurde er dessen Nachfolger und erhielt
zugleich das Syndikat der Hochschule. Unterm 24. April 1582 wurde er
neben seiner Professur auch zum Beisitzer des hessischen
Sammthofgerichtes ernannt. In beiden Stellungen wußte sich V. die
Anerkennung seiner Treue und Tüchtigkeit bei Hohen wie Niedrigen zu
erwerben. Daher mußte er oft als Gesandter seinen Landesherrn, den
Landgrafen Wilhelm, an fremden Höfen vertreten. Dessen Sohn, Landgraf Moritz,
schätzte ihn noch mehr als sein Vater. Bei der Einführung der
Verbesserungspunkte, durch welche Moritz sein Land zu dem völligen
reformirten Bekenntnisse führte, war V. vor allem thätig als ein
begeisterter Calvinist, weshalb ihn dieser Fürst noch in demselben Jahre
1605, wo solche kirchliche Veränderung vorgenommen wurde, in
Anerkennung seiner Verdienste zum Vicekanzler der Universität Marburg
machte. Im J. 1630 wurde V. von dem Kaiser
Nothleidende war er äußerst wohlthätig; im Auftreten
ungemein bescheiden und demüthig. Als man einst seine große
Gelehrsamkeit in seiner Gegenwart rühmte, erklärte er:
„ich kann Latein und kann in den Adelstand erhoben und mit der
Würde eines Comes palatinus und kaiserlichen Rathes bedacht.V.
zeichnete sich im Umgange durch Leutseligkeit gegen Jedermann und
ungeheuchelte Frömmigkeit aus. "Gegen Arme und generalia appliciren specialibus,
das ist alle meine Kunst“. Seine Schriften setzte er anderen stets
nach. Charakterfest in seinen Entschlüssen, zu denen ihn reife
Ueberlegung führte, ließ er sich nicht mehr von denselben abbringen.
Selten ermüdete ihn die Arbeit. In seinen Mußestunden beschäftigte er
sich mit den besten juristischen Werken, besonders mit denen der
Italiener, die er wegen ihrer Akribie hochschätzte. Aber auch auf
anderen Gebieten fand er seine Erholung, wie denn besonders die
lateinische Poesie ihm viele Freude machte, wovon seine
Gelegenheitsgedichte zu feierlichen Ereignissen seiner Freunde und
Familienglieder ein beredtes Zeugniß ablegen. Gegen seine Freunde zeigte
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er sich stets sehr gefällig und ergeben. Seine Correspondenz, von
welcher nur ein kleiner Theil gedruckt ist, läßt ihn als einen
seelenvollen, feingebildeten Mann erkennen. Sie erstreckt sich nicht
bloß auf Hohe, wie er denn auch mit dem Landgrafen Moritz selbst in
nichtamtlichen Angelegenheiten brieflich verkehrte, sondern auch auf
Gelehrte in anderen Fächern, als Rudolf Gualther, Theolog Zürichs, auf den bekannten Philologen Friedrich Sylburg, den Philosophen Rudolf Goclenius, Johann Peter Lotichius, den Herborner Theologen Johann Heinrich Alstedius u. a. Ein Sohn Vultejus’, Joh. Christoph, wurde hessischer Regierungsrath, der andere, Johannes,
hessischer Kanzler. Drei seiner Töchter verheiratheten sich an
hervorragende Männer in Justiz- und Verwaltungsämtern.
Am hervorragendsten sind die Leistungen des V. in der Rechtswissenschaft, in welcher er nach Stintzing
zu den Systematikern zu zählen ist. Nur schwer konnte sich der
gewissenhafte Gelehrte zu Publicationen entschließen. Daher haben
wir meistens nur juristische Abhandlungen, bei akademischen
Veranlassungen verfaßt, von ihm. Von größeren Werken
ist seine Hauptschrift aufzuführen: „Jurisprudentiae Romanae
a Justiniano compositae libri II“
(1590), ein System des Justinianischen Rechts in kurzen
Lehrsätzen, von einer ausgezeichneten Geistesbildung zeugend. Sein
„Disceptationum scholasticarum juris liber unus“ (Marp.
1598) ist den besten Leistungen jener Zeit an die Seite zu stellen.
„De feudis eorumdemque jure libri duo“ (Marp. 1595) ist als
ein vorzügliches Handbuch des Lehnrechtes, systematisch geordnet,
zu betrachten; der zweite Theil enthält den Lehnsproceß.
- Rommel, Gesch. von Hessen. – Strieder. – R. Stintzing, Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft. – Stolle, Gesch. der jurist. Gelehrtheit. – Vita H. Vulteji a J. Ph. Kuchenbecker. Giessae 1731.
Artikel „Vultejus, Hermann“ von Friedrich Wilhelm Cuno in: Allgemeine Deutsche Biographie,
herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 389–390
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